Anmerkung zum BGH-Urteil vom 26.11.19 – BGH XI ZR 307/18
In einem aktuellen Urteil vom 26. November 2019 hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Reichweite der sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“ des früheren Musters für die Widerrufsbelehrung eines Verbraucherdarlehensvertrages nach der BGB-InfoV geäußert.
Dabei hatte der BGH einen Vorgang aus dem Juli 2005 zu klären. Maßgeblich war insoweit die damalige Rechtslage, d. h. die Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 Abs. und 3 der BGB-Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfoV) in der bis zum 31. März 2008 gültigen Fassung.
Sachverhalt
Die Darlehensnehmer, die Klägerin und ihr Ehemann, hatten mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Juli 2005 einen Verbraucherdarlehensvertrag über rund Euro 150.000,00 mit einem festen Nominalzinssatz von 4,41 % p. a. geschlossen. Zins- und Tilgungsleistungen wurden in der Folgezeit von den Darlehensnehmern erbracht. Anfang 2016 erklärten sie gegenüber der Beklagten den Widerruf der Vertragserklärung aus Juli 2005.
Die Klägerin vertrat im Rechtsstreit die Auffassung, ihr und ihrem Ehemann stehe noch immer ein Widerrufsrecht zu, weil sie über ihr Widerrufsrecht vor Vertragsschluss unzureichend belehrt worden seien. Beanstandet wurde, dass die Beklagte über den Beginn der Widerrufsfrist durch Verwendung des Satzes „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ unzureichend deutlich belehrt habe. Die Beklagte habe sich insoweit auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des im Juli 2005 gültigen Musters für die Widerrufsbelehrung nach der BGB-InfoV berufen können, weil sie zwischen den Überschriften „Widerrufsbelehrung“ und „Widerrufsrecht“ Text eingefügt und im Anschluss an die Widerrufsbelehrung einen gesonderten Hinweis zum Wertersatz gegeben habe.
Sowohl das Landgericht wie auch das Oberlandesgericht Saarbrücken waren von einem wirksamen Widerruf des Darlehensvertrages aufgrund fehlerhafter Widerrufsbelehrung ausgegangen. Die Revision der Beklagten vor dem BGH hatte sodann aber Erfolg.
Das rechtliche Problem
Die Verwendung des Satzes „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ hatte der BGH in der Vergangenheit als undeutlich beanstandet (BGH XI ZR 564/15, Urteil vom 12. Juli 2016), mit der Folge, dass Verbraucher in solchen Fällen nicht hinreichend über ihr gesetzliches Widerrufsrecht belehrt worden waren, sodass ihnen auch viele Jahre nach Vertragsschluss noch der Widerruf eines (missliebig) gewordenen Vertrages möglich war. Als undeutlich wurde dabei die Verwendung des Wortes „frühestens“ angesehen, weil es Verbrauchern nach Auffassung des BGH nicht ermöglichte, den Beginn der zweiwöchigen Widerrufsfrist zweifelsfrei zu bestimmen.
Da dieser Text zum Fristbeginn jedoch dem vom 08. Dezember 2004 bis 31. März 2008 gültigen Muster der Widerrufsbelehrung nach der BGB-InfoV entsprach, kann sich ein Unternehmer jedenfalls dann auf die (unterstellte) Richtigkeit seines Belehrungstextes berufen, wenn er in diesem Zeitraum das Muster des Verordnungsgebers entsprechend verwendet hat (sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“ des Verordnungsmusters).
Unternehmer, die hingegen das Muster der Verordnung einer eigenen Bearbeitung unterzogen und diese u. U. auch nur geringfügig geändert oder ergänzt haben, können sich jedenfalls grundsätzlich nicht auf die (unterstellte) Richtigkeit der Muster-Widerrufsbelehrung berufen, mit der weitreichenden Konsequenz, dass Verbraucher auch viele Jahre nach Vertragsschluss noch von einem Widerrufsrecht Gebrauch machen könnten.
In der Zeit bis zum 31. März 2008 ist für Verträge, bei denen Verbraucher über ein gesetzliches Widerrufsrecht zu belehren waren, von Seiten der Unternehmer gerade wegen des einschlägigen Verordnungsmusters regelmäßig der Passus „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ zum Beginn der Widerrufsfrist verwendet worden.
Die aktuelle Entscheidung des BGH
In der aktuellen Entscheidung hat der BGH nunmehr konkretisiert, dass sich der Unternehmer, hier eine darlehensgebende Bank, auch dann auf die unterstellte Richtigkeit der Muster-Widerrufsbelehrung berufen kann, wenn die konkret verwendete Belehrung bestimmte Zusätze gegenüber dem Muster aus der BGB-InfoV enthält und somit von diesem abweicht.
Im konkreten Fall hatte die darlehensgebende Bank zwischen der Überschrift „Widerrufsbelehrung“ und der Überschrift „Widerrufsrecht“ einen Zwischentext eingefügt, der die damalige Firma, die Finanzprojekt-Nummer, Namen und Anschrift des Darlehensnehmers und das Datum des Darlehensvertragsangebots enthielt.
Der BGH kam hier zu dem Schluss, dass ein derartiger Zwischentext mit der Verwendung des Musters zu vereinbaren sei und die Beklagte sich trotz dieser Zusätze somit auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung wirksam berufen könne. Die von der Beklagten verwendeten Zusätze beschränkten sich aus Sicht des BGH darauf, die Widerrufsbelehrung einem konkreten Verbrauchervertrag zuzuordnen. Dies sei zulässig, da es insbesondere beim Verbraucher keine Fehlvorstellung über den Beginn der Widerrufsfrist hervorrufen könne.
Darüber hinaus war im Verfahren beanstandet worden, dass die Beklagte im Anschluss an die Widerrufsbelehrung auf einer gesonderten Seite einen Hinweis in das Vertragsformular übernahm, mit dem der – im Fall des Widerrufs der Vertragserklärung des Verbrauchers – zu leistende Wertersatz näher umschrieben und von den Darlehensnehmern eine Zustimmung zur Auszahlung des Darlehens vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt wurde.
Nach Auffassung des BGH war dieser Hinweis ebenfalls unschädlich für eine wirksame Verwendung der Muster-Widerrufsbelehrung. Denn der Hinweis sei zum einen räumlich klar getrennt von der Widerrufsbelehrung verwendet worden. Zum anderen habe der Hinweis in erster Linie auf ein aktives Tun des Darlehensnehmers, nämlich eine eigene rechtsgeschäftliche Erklärung abgezielt und nicht auf die passive Entgegennahme von Informationen über das Widerrufsrecht.
Praktische Relevanz
Die Entscheidung ist grundsätzlich für alle Verbraucherdarlehensverträge relevant, soweit die Vertragserklärung des Verbrauchers zwischen dem 08. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 abgegeben worden ist. Da bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung nach damaliger Rechtslage ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht bestehen würde, kommt der Entscheidung für entsprechend alte, aber noch aktuell bestehende Verträge Bedeutung zu.
Die Entscheidung beansprucht jedoch nicht nur Gültigkeit für Verbraucherdarlehensverträge, sondern lässt sich nach ihrem konkreten Inhalt auch etwa auf Kapitalanlageverträge, bei denen ein Verbraucher einem Emittenten Kapital zur Verfügung stellt, übertragen. Denn in Fällen, in denen Kapitalanlageverträge in Form eines Haustürgeschäftes angeboten worden sind, war der Verbraucher ebenfalls über ein gesetzliches Widerrufsrecht zu belehren, für das ebenfalls die BGB-InfoV galt.
In der Praxis ist die Vorgehensweise von Kapitalanlegern, vor Gericht die Auffassung zu vertreten, wegen eines geringfügigen Zusatzes zum Verordnungsmuster sei eine konkret verwendete Widerrufsbelehrung falsch, von großer Relevanz. Denn das Widerrufsrecht stellt, je nach Art der Kapitalanlage, häufig die einzig wirksame Möglichkeit des Verbrauchers dar, bei finanziell nachteiligen oder gescheiterten Kapitalanlageverträgen vom Emittenten auch viele Jahre nach Vertragsschluss (und ggf. nach Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche) die volle Rückzahlung des eingezahlten Kapitals zu verlangen. Bei Verbraucherdarlehensverträgen wird es dem Verbraucher regelmäßig darum gehen, sich mit Hilfe des Widerrufs von einem nach heutigen Verhältnissen ungünstig hohen Zinssatz aus dem Darlehensvertrag wieder trennen zu können.